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Der
Kieferorthopäde Elmar Billig findet
Hornissen faszinierend. In seinem
Wohnzimmer lebt ein ganzer Staat. |
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Wer nicht allergisch ist, muss sich keine Sorgen machen, denn die
Wahrscheinlichkeit, von 1000 Hornissen gepiesackt zu werden, ist denkbar
gering. Erstens wimmeln selbst in einem großen Nest auf dem
Saisonhöhepunkt im August meist nur einige hundert Arbeiterinnen herum.
Zweitens fliegen nach Beobachtungen von Billig aus einem Bau bei Bedrohung
"so gut wie nie mehr als 50 bis 80 Tiere auf einmal aus", von
denen immer nur jedes fünfte zusticht, während der Rest Kapriolen fliegt
oder Drohgebärden vollführt.
Schmerzhafte Drohgebärde: Sprüh-Angriff auf empfindliche Stellen
Das ist gut so, denn Hunderte von Stichen können durchaus zu
Ödemen, Gewebeschäden, inneren Blutungen und Nierenproblemen führen.
Und auch die Drohgebärden haben es in sich. Die Insekten können dabei
ihren Chemikaliencocktail mit nach vorn gekrümmtem Hinterleib im Flug
versprühen - 30 bis 40 Zentimeter weit. Und sie scheinen zu wissen, dass
menschliche Augen besonders empfindlich sind. "Blind wird man davon
nicht, wie es immer heißt, aber das Zeug brennt wie Feuer", sagt
Billig, der selbst schon mehrmals in die Augen getroffen wurde. "Man
sieht eine Viertelstunde nichts, vor allem wegen der Tränen, und man kann
Schüttelfrost kriegen wie bei Grippe. Aber der ist nach einer halben
Stunde wieder weg."
Doch was tun, wenn man gestochen wird? Billig rät, Stiche in den Hals,
ins Gesicht oder in große Blutgefäße genau zu beobachten und bei ersten
Beschwerden oder allergischen Reaktionen sofort zum Arzt zu gehen. Natürlich
sind Stiche in Mund und Rachen, nicht anders als bei Bienen und Wespen,
wegen der Erstickungsgefahr sehr riskant.
Wer sie angreift, darf sich über Gegenwehr auch nicht
wundern
Wenn Hornissen zur Waffe greifen, haben sie in der Regel einen guten
Grund. Laut Billig hassen die Brummer plötzliche Erschütterungen ihres
Wabenbaues sowie Manipulationen an Nest und Flugloch, heftige Bewegungen
erschreckter Menschen, längeres Blockieren der Einflugschneise zu ihrem
Nest sowie Rasenmäher mit Zweitaktmotor oder ähnliche Krachmaschinen.
Wer die Behausung aus bräunlichem "Wespenpapier" abklopft oder
die Tiere vor lauter Panik aus der Luft zu Boden schlägt, muss sich nicht
wundern, wenn er attackiert wird.
Hornissen sterben im Gegensatz zu Bienen nicht, wenn sie stechen. Ihr
Stachel dient nämlich nicht der Verteidigung, sondern der Jagd. Die
Arbeiterinnen müssen die fetten Larven, die kopfunter in ihren am Boden
offenen Waben hängen, rund um die Uhr mit Insektenfleisch versorgen.
Täglich erbeuten die Jägerinnen eines mittelgroßen Stocks Tausende von
Fliegen und anderen Schadinsekten.
Tausend Mal berührt, tausend Mal ist nichts passiert...
Elmar Billig ist kein Schwärmer, der seine stachligen Lieblinge
aus sicherer Ferne anhimmelt; seit 22 Jahren siedelt er quasi im
Zweitberuf Nester der vom Aussterben bedrohten und gesetzlich streng
geschützten Großinsekten um - etwa vom Rolladenkasten einer Frankfurter
Villa in ein ausgewähltes Waldstück bei Neu-Isenburg. Seine Firma
Hymo-Tec bewältigt in diesen Wochen den tausendsten Umzug eines
Hornissen- oder Wespenstaates. Trotzdem ist Billig erst von einer einzigen
Hornisse gestochen worden.
Die Nistkästen, in denen er die Völker beim komplizierten
"Fang" unterbringt, befestigt der Insektenheger hoch oben in Bäumen.
Warum so hoch? "Als sie tiefer hingen, haben die Leute sie mit Schrot
beschossen, Steine nach ihnen geworfen und sogar einen Baum mit Nest
abgefackelt."
Insektengesumm als Tischmusik
Diese Hornissen-Hysteriker würden im Haus von Billig
durchdrehen. Dort wuselt im Wohnzimmer hinter einem Netz aus transparentem
Kunststoff Tag und Nacht ein Hornissenstaat. Noch einen draufgesetzt hat
der Entomologe (Insektenforscher) John Wenzel von der Ohio State
University in Columbus. Auch er hat ein Hornissennest im Zimmer,
verzichtet aber auf ein Netz. Die Brummer schwärmen durch ein Mauerloch
ein und aus, das sich genau über dem Tisch befindet, an dem Wenzel seine
Gäste bewirtet. Bisher war noch jeder begeistert. Kein Wunder - alle
Besucher waren Entomologen.
Gerd Schuster
Fotos: Jasmin Grund/Dr. Elmar Billig |